50 Jahre Kriegsgräberstätte Cannock Chase in Großbritannien

Ein verregneter Tag im Juli, morgens früh auf der Kriegsgräberstätte Cannock Chase. Eine Gruppe von Angehörigen und Förderern des Volksbundes betritt gemeinsam mit der erfahrenen Reiseleiterin Marlene Will den noch ruhigen Friedhof. Später wird hier die Gedenkveranstaltung zum 50-jährigen Bestehen des Friedhofs, organisiert vom Landesverband Bremen, stattfinden. Noch kann die Gruppe sich Zeit für persönliche Gedanken und Momente nehmen.

Kurz vor elf Uhr ist es dann so weit. Der Chairman des Staffordshire County Council, Michael Greatorex und der Landesvorsitzende des Volksbundes in Bremen, Oberst a. D. Dietmar Werstler, begrüßen die so zahlreich erschienenen englischen Freunde. Die goldenen Ketten der Vertreterinnen und Vertreter der Grafschaften und der Bürgermeister bestimmen das bunte Bild. Dietmar Werstler weist anlässlich der feierlichen Kranzniederlegung auf die besondere, lange Freundschaft zwischen Bremen und Staffordshire hin und betont die Wichtigkeit der alljährlich stattfindenden deutsch-englischen Jugendbegegnungen. „Sie, liebe Jugendliche, halten diese völkerverbindende Freundschaft aufrecht und lebendig! Vielen Dank dafür!“

Steine zur Erinnerung

Waltrud Kraft war schon oft in ihrem Leben auf diesem Friedhof und hat das Grab ihres Mannes Ignaz Kraft besucht: Der Pilot war 1941 über der Grafschaft Kent abgeschossen worden und liegt nun in Cannock Chase begraben. Schon bei der Einweihung des Friedhofs am 10. Juni 1967 war Waltrud Kraft dabei. „Es ist so traurig, wir hatten nur so wenig Zeit miteinander“, erzählt die inzwischen 97 Jahre alte Dame. Mit Begleitung hat sie sich wohl letztmalig, trotz Rollstuhl, auf den Weg nach England gemacht. Im Gepäck vier Steine, die sie liebevoll auf dem Grab ihrer einzigen Liebe ablegt. „Mein Mann bekommt diese Steine, die die ewige Liebe symbolisieren, zur Erinnerung und zwar von vier Generationen. Einen von mir als Ehefrau und je einen von unserer Tochter, unserer Enkelin und einen von unserer Urenkelin.“ Trotz aller Wehmut begrüßt Frau Kraft alle Menschen fröhlich und gut gelaunt, die mit ihr ins Gespräch kommen möchten, so auch den Luftwaffenattaché der Deutschen Botschaft in London, Oberst Hermann Hanke. „Ignaz war ein begeisterter Pilot“, erzählt sie, „und ein liebevoller Vater. Als ich 17 war, haben wir uns heimlich verlobt, 19 Jahre war ich alt, als wir geheiratet haben, mit 20 bekam ich unsere Tochter und mit 21 Jahren wurde ich schon wieder Witwe.“ Berührt hören auch die jugendlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workcamps zu, als Frau Kraft in gutem Englisch aus ihrem Leben erzählt. Diese Jugendlichen sind „ganz reizend“, schwärmt sie „und es ist toll, wie sie sich um die Gräber kümmern.“

Todesmeldung am Tag der Einschulung

Besonders beeindruckt vom Engagement der Jugendlichen im Alter von 16 und 17 Jahren ist auch Lydia Brinkmann, die zum ersten Mal am Grab ihres Großvaters steht.

Amandus Meine - Wehrmann – gefallen am 3. März 1919 – ist auf dem Grabstein zu lesen. „In unserer Familie wurde nicht gerne über den Tod meines Großvaters gesprochen, es war wie ein Trauma. Die Todesmeldung kam ausgerechnet am Tag der Einschulung meines Vaters, das hat meine Großmutter nie verwunden. Er war in den letzten Kriegstagen bei der Bergung eines Kameraden schwer verwundet worden und starb im Kriegsgefangenenlager Pattishall. Nun, da ich älter werde, treibt es mich um, dass noch niemand aus der Familie an seinem Grab gestanden hat. Erst vor kurzem erfuhr ich von der Möglichkeit, über den Volksbund Gräber zu finden und heute bin ich hier. Welch‘ ein Glück! Alena Schäfer, die Leiterin des Workcamps hat mit den Jugendlichen dafür gesorgt, dass frische Blumen am Grab meines Großvaters stehen, so dass alles einen schönen, gepflegten Eindruck macht. Bestimmt komme ich noch einmal wieder“ verspricht Lydia Brinkmann.

Die zweite Generation

Berührend wird es auch nach dem musikalischen Beitrag von Patricia Hammond und Matt Redman während der Übergabe der neuen, extra zum 50-jährigen Bestehen des Friedhofes gedruckten Namenbücher, in dem alle Grablagen namentlich aufgeführt sind. Isa Nolle, Geschäftsführerin des Landesverbandes Bremen, übergibt sie mit einer festen Umarmung an Stuart Urquhart, den leitenden Gärtner.

„Wir stehen hier für die zweite Generation“, so Isa Nolle, „die Arbeit und das Engagement unserer Väter sind untrennbar mit dieser Kriegsgräberstätte verbunden. Mein Vater Siegfried Falke war als junger Soldat in englischer Kriegsgefangenschaft und schwor sich, sein weiteres Leben der Völkerverständigung zu widmen. Das tat er, indem er Geschäftsführer beim Volksbund wurde. In dieser Eigenschaft bekam er 1962 den Auftrag, den Bau des Friedhofs Cannock Chase mit jungen Menschen aus Deutschland und England zu unterstützen. Fortan brachte er in jedem Jahr mehrere Gruppen hierher, die gemeinsam mit jungen Engländern das Motto – Versöhnung über den Gräbern, Arbeit für den Frieden – mit Leben füllten.

Stuart Urquharts Vater arbeitete nach dem Krieg für die britische Kriegsgräberfürsorge, die Commonwealth War Graves Commission, nahe Kleve in Deutschland. In dieser Zeit kam auch Stuart in Wuppertal zur Welt. 1966 wurde sein Vater zum deutschen Soldatenfriedhof Cannock Chase beordert. Er hatte Erfahrung, Friedhöfe zu bauen und sprach fließend Deutsch, das zeichnete ihn aus. Stuart war 1966 bei der Ankunft in England 14 Jahre alt und liebte es, nach der Schule mit seinem Vater auf dem Friedhof zu arbeiten. 1988 trat er offiziell in seine Fußstapfen. So kam es, dass unsere beiden Väter 1967 zur Eröffnung des Friedhofs hier anwesend waren. Wir bedanken uns im Namen aller Angehörigen und der jungen Menschen, dass ihr, dein Vater und du, diesen Friedhof zu dem gemacht habt, was er heute ist: Ein Ort des Friedens, der Freundschaft und der Völkerverständigung!“

Isa Nolle
Fotos: Margaret Beardsmore und Landesverband Bremen